Meine unbeschadete Schulzeit?!
- Jacqueline Vial
- 3. Nov.
- 4 Min. Lesezeit

Wie ein Großteil der Menschen in Deutschland bin auch ich zur Schule gegangen. Ich musste nie eine Klasse wiederholen und hatte meist gute bis durchschnittliche Noten. Scheinbar war die Schulzeit also kein großes Problem für mich, oder?
Von außen betrachtet, mag man zu dieser Schlussfolgerung kommen. Doch heute möchte ich dir einen privaten und etwas tieferen Einblick geben.
Zwischen Anpassung und Erwartungshaltung
Denn ich habe gelernt, mich anzupassen. Ich wusste, dass der Schulbesuch für uns außer Frage stand. Gleichzeitig erinnere ich mich an die Tage, an denen mir vor Aufregung ganz schlecht war – die Tage, an denen Klassenarbeiten geschrieben wurden oder Ausflüge anstanden. Wie ich versuchte krank zu sein, weil dann darf man doch zuhause bleiben. (Doch leider waren meine Versuche von der Hitze der eingeschalteten Heizung Fiber zu bekommen, nicht von Erfolg gekrönt 😉.)
Und ich erinnere mich an die Momente, in denen ich Hausaufgaben vergessen hatte - meist völlig unbeabsichtigt. Schon die bloße Vorstellung, dass die Lehrkraft entdecken könnte, dass ich etwas nicht erledigt hätte, bereitete mir Bauchschmerzen. Das wollte ich auf keinen Fall riskieren. Also machte ich meine Hausaufgaben und lernte für Klausuren und Tests so gut ich konnte. Ich wollte nicht auffallen – und ich wollte es gut machen.
Natürlich wurden gute Noten mehr geschätzt, und ab einem bestimmten Alter gab es dann Geld für ein gutes Zeugnis. Mir ging es weniger um die Belohnung als vielmehr darum, nicht negativ aufzufallen oder im Vergleich als „die Schlechtere“ dazustehen. Also passte ich mich an und tat alles dafür, was ich konnte. Auf schriftliche Tests konnte ich mich vorbereiten – auch wenn ich dafür oft sehr viel Zeit investieren musste, um am Ende mit mittelmäßigen Noten, vor allem in Mathe und den Naturwissenschaften, abzuschneiden.
Ein anderes Thema war die mündliche Mitarbeit. Spontane Fragen, unerwartet aufgerufen zu werden und dann sofort die richtige Antwort liefern zu müssen – das war mein Endgegner. Und darum konnte ich mich oft nicht überwinden, mich auch mündlich zu beteiligen. Denn auch da wollte ich nicht schlecht dastehen. Ich wollte nicht, dass andere über mich lachten oder dass meine Antwort korrigiert werden musste. Ich wusste doch, worum es ging: das richtige Ergebnis zu liefern. Und das bedeutete damals für mich: keine Fehler machen.
Der Umgang mit Fehlern – eine lebenslange Lernaufgabe
Heute lesen wir überall, dass Fehler Helfer sind, nur eben anders buchstabiert. Ich habe das mittlerweile verstanden und gebe diese Haltung von Herzen gerne an andere weiter. Aber es fällt mir immer noch schwer, mir das auch selbst zuzugestehen. Fehler sind Helfer. Auch für mich. Ich darf aus ihnen lernen. Schade, dass mir das in meiner Schullaufbahn nie wirklich vermittelt wurde und ich mich noch heute davor scheue, Fehler zu machen. Wenn ich mich jetzt etwa zu einem Französischkurs anmelde, ist mir schon Stunden vorher flau im Magen. Ich weiß, dass ich Fehler machen darf, und doch sitzt das Lachen und das alte Gefühl von Bewertung tief.
Oft wird argumentiert, dass die sozialen Kontakte in der Schule unverzichtbar seien und Kinder dort auf das Leben vorbereitet würden. Doch auch hier habe ich nicht das Gefühl, dass mich die Schule im Positiven geprägt hat. In der Grundschule war ich das einzige Mädchen aus meinem Dorf und hatte Schwierigkeiten, Anschluss an Gleichaltrige zu finden. Leichter war es für mich mit Jüngeren oder wesentlich älteren Menschen. Da hatte ich nicht das Gefühl, in Konkurrenz stehen zu müssen und mich behaupten zu müssen. Wer hat die schönere Kleidung, die modernere Frisur, kennt die angesagten Musiker oder Fernsehsendungen? Da konnte ich nie mithalten. Mir waren andere Dinge wichtig, was es im Klassengefüge allerdings nicht leichter machte.
Ja, ich habe gelernt, über das Gerede anderer hinwegzusehen. Ich habe heute verstanden, dass es mehr über sie aussagt als über mich. Trotzdem habe ich meine Bestätigung lange im Außen gesucht, und auch heute fällt es mir manchmal schwer, zu mir selbst zu stehen und meine Meinung klar zu vertreten. Mein Selbstbewusstsein rinnt mir in solchen Momenten wie Sand durch die Finger, und ich darf mich immer wieder selbst aufbauen.
Hat es mir also geholfen, viele Stunden pro Woche in der Schule unter Gleichaltrigen zu verbringen? Nein, tatsächlich kann ich dem im Nachhinein wenig Positives abgewinnen und hätte sicherlich mehr profitieren können, wenn ich in altersgemischten Gruppen von anderen hätte lernen dürfen.
Wenn Pflicht das Interesse verdrängt – über verpasste Möglichkeiten
Aber nicht nur der Umgang mit Bewertungen und Beschämung hat mich geprägt. Auch hat mich die Schulzeit wichtige Lebenszeit gekostet. Hin- und Rückwege, lange Schultage, Hausaufgaben machen und für Klassenarbeiten lernen. So viel Zeit war für Schule vorbestimmt. Was hätte ich alles machen können, hätte ich weniger Zeit investieren müssen, um in der Schule mithalten zu können und die geforderten Themen zu lernen. Einen Großteil davon habe ich längst wieder vergessen, und manches lerne ich heute mit meinen Jungs noch einmal neu. Irgendwann im neunten Schuljahr hörte ich mit dem Klavier- und Gitarrenunterricht auf, weil ich das Gefühl hatte, meine Freizeit nicht länger fürs Lernen opfern zu können. Die Schule nahm einfach zu viel Raum ein. Heute würde gerne besser Klavier und Gitarre spielen können und bedaure, nicht damals mehr Zeit dafür gehabt zu haben. Damals, zu einem Zeitpunkt in meinem Leben, in dem ich noch nicht mit eigenen Kindern und Erwerbsarbeit vieles andere zu tun hatte.
Zudem hätte ich viel lieber meine Zeit mit Fremdsprachen verbracht, mein Englisch oder Französisch verbessert und vielleicht noch weitere Sprachen gelernt. Später im Studium habe ich drei Semester Italienisch belegt, und noch heute möchte ich gerne Schwedisch und Hebräisch lernen. Stattdessen musste ich in Mathe und Naturwissenschaften an meinen Schwächen arbeiten, statt in den Fremdsprachen in das zu investieren, was mich wirklich interessierte. Was hätte wohl daraus werden können? Ich habe mir fest vorgenommen, das irgendwann nachzuholen, doch manchmal trauere ich der verpassten Zeit hinterher.
Insgesamt hätte ich gerne auf all die Bewertungen und Beschämungen verzichtet. Ich hätte lieber das gelernt, was mich wirklich interessiert und weitergebracht hätte. Ja, ich habe die Schulzeit scheinbar überstanden. Aber geschadet, doch geschadet hat es mir irgendwie schon. Und deshalb möchte ich es jetzt anders richtig machen.










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